Journal of Multidisciplinary Studies in Human Rights & Science (JMSHRS)

Volume 5, Issue 1, March 2023  | SDGs: 3 | 5 | 10 | 16 | 17 | #RethinkProcess

ORIGINAL SOURCE ON:  https://knowmadinstitut.org/journal/ 

DOI: 10.5281/zenodo.7698933


EIN UNABHÄNGIGES PROJEKT DES:

IN ZUSAMMENARBEIT MIT:

Coordinators: Martin Ignacio Díaz Velásquez, Daniela Kreher.

Contributors: Jorge Paladines, Natascha Barz, Hubert Wimber, Philine Edbauer, Lisa Haag, Maximilian Plenert, Franjo Grotenhermen.

Lector: Rebecca Mehling.

Editor: Daniela Kreher.

Data Systematization and Visualization: Martin Ignacio Díaz Velásquez.

This work   is made available under a Creative Commons Attribution-NonCommercial-ShareAlike 4.0 (CC BY-NC-SA 4.0) license. Under the terms of this license, you may copy, distribute, and adapt the work   for non-commercial purposes, provided the work   is properly cited.

Suggested quote:  

Díaz Velásquez, M. I., Kreher, D. D., Paladines, J., Barz, N., Wimber, H., Edbauer, P., Haag, L., Plenert, M., Grotenhermen, F., Knowmad Institut, & LEAP Deutschland. (2023). Beiträge zu Menschenrechten und Drogenpolitik in Deutschland. In D. D. Kreher (Ed.), (JMSHRS). Journal of Multidisciplinary Studies in Human Rights & Science, 5(1). https://knowmadinstitut.org/journal/ | https://doi.org/10.5281/zenodo.7698933 | CC BY-NC-SA 4.0 license.

Volume 5, Issue 1, March 2023  | SDGs: 3 | 5 | 10 | 16 | 17  | DOI: 10.5281/zenodo.7698933 

Beiträge zu Menschenrechten

und Drogenpolitik in Deutschland

EN | Abstract:

This publication addresses the current debate on drug policy and human rights in Germany and the unwillingness of decision-makers to take responsibility for cannabis decriminalization and responsible adult regulation beyond party agreements. A group of experts, partly LEAP(Law Enforcement Against Prohibition)-Germany members and a team from Knowmad Institute, conducted a survey and collected input to provide an overview of the international and national situation and add to the discussion. The results show that the proportion of cannabis users in all educational and professional groups is higher than often assumed. Participants in the survey are in favor of legalization or state regulation of cannabis and see police measures and prosecution as inefficient. Regulation and decriminalization of drugs could increase trust in the state and lead to a more open approach to substances, which would ultimately benefit everyone's health and safety. The contributors recommend the pragmatic application of the Rome Consensus 2.0 as a tool for reforms toward humane drug policies.

Keywords: human rights, drug policy, cannabis, Germany, necropolitics, public health, police

DE | Abstract: 

Die vorliegende Publikation befasst sich mit der aktuellen Debatte um die Drogenpolitik und Menschenrechte in Deutschland und der mangelnden Bereitschaft von Entscheidungsträgern, jenseits von Parteivereinbarungen Verantwortung für die Entkriminalisierung von Cannabis und verantwortungsvolle Regulierung für Erwachsene zu übernehmen. Eine Gruppe von Experten, teilweise LEAP(Law Enforcement Against Prohibition)-Deutschland Mitglieder und ein Team des Knowmad Instituts, hat eine Umfrage durchgeführt und Beiträge gesammelt, um einen Überblick über die internationale und nationale Situation zu geben und die Diskussion zu ergänzen. Die Ergebnisse zeigen, dass der Anteil der Cannabiskonsumenten in allen Bildungsschichten und Berufsgruppen höher ist als oft angenommen. Teilnehmende der Umfrage sprechen sich für eine Legalisierung oder staatliche Regulierung von Cannabis aus und sehen polizeiliche Maßnahmen und Strafverfolgung als ineffizient an. Eine Regulierung und Entkriminalisierung von Drogen könnte das Vertrauen in den Staat stärken und zu einem offeneren Umgang mit Substanzen führen, was letztendlich der Gesundheit und Sicherheit aller zugutekommen würde. Die Verfasser empfehlen die pragmatische Anwendung des Rome Consensus 2.0 als Instrument für Reformen hin zu einer humanen Drogenpolitik.

Keywords: Menschenrechte, Drogenpolitik, Cannabis, Deutschland, Nekropolitik, Gesundheit, Polizei

ES | Abstract:

Esta publicación aborda el debate actual sobre la política de drogas y los derechos humanos en Alemania y la falta de voluntad de los responsables políticos para asumir la responsabilidad de la despenalización del cannabis y la regulación responsable de los adultos, más allá de los acuerdos entre partidos. Un grupo de expertos, en parte miembros de LEAP(Law Enforcement Against Prohibition)-Alemania y un equipo del Knowmad Institute, llevaron a cabo una encuesta y recogieron aportaciones para ofrecer una visión general de la situación internacional y nacional y contribuir al debate. Los resultados muestran que la proporción de consumidores de cannabis en todos los grupos educativos y profesionales es mayor de lo que se suele suponer. Los participantes en la encuesta están a favor de la legalización o la regulación estatal del cannabis y consideran ineficaces las medidas policiales y la persecución. La regulación y despenalización de las drogas podría aumentar la confianza en el Estado y conducir a un enfoque más abierto de las sustancias, lo que en última instancia redundaría en beneficio de la salud y la seguridad de todos. Los autores recomiendan la aplicación pragmática del Rome Consensus 2.0 como herramienta de reforma hacia políticas de drogas más humanas.

Palabras Clave: derechos humanos, política de drogas, cannabis, Alemania, necropolítica, salud pública, policía


I. EINLEITUNG

Kurze Übersicht zur Situation der Menschenrechte und Drogenpolitik auf internationaler Ebene

Auf dem Weg zu einer humanitären Drogenpolitik

Menschenrechte und Drogenpolitik in Deutschland - Ende des Cannabisverbots?

II. DIE UMFRAGE ZU MENSCHENRECHTE UND DROGENPOLITIK IN DEUTSCHLAND

III.  DIE DATEN ERHEBUNG UND ANALYSE

Deutschland auf dem Weg zur staatlichen Regulierung von Cannabis?

Diskriminierung auch im Herzen Europas

Zusammenfassung:

IV.  VON DER NEKROPOLITIK ZU VERANTWORTUNGSVOLLEN REGULIERUNG VON CANNABIS

Prohibition als Nekropolitik, Gesundheitspolitik und der Drogentod

Cannabis als Medizin in Deutschland: Anspruch und Wirklichkeit

Der unerfüllte Anspruch des Gesetzes

Vergebliche Arztsuche und Kostenübernahme der Behandlungskosten

Weitere drängende Probleme

Keine Chance auf eine Therapie bei den meisten Erkrankungen

Diskrepanz zwischen Versorgung und Bedarf

Ampel auf Grün: Kehrtwende bei Cannabis zur Schadensminimierung der Folgen durch COVID-19

Corona: die Welt steht Kopf

Regional - statt internationale Abhängigkeit

Gesetze zum Schutz der Bevölkerung

CBD - Cannabis, but drug?

Cannabis als Medizin und COVID-19

Cannabis: eine Pflanze - eine globale Industrie

Medizinisches Cannabis als Ausgangspunkt

Cannabis: Ampeln auf Grün

Anhang

I. Rohdaten der Umfrage

II.  Interaktive Datenvisualisierung

REFERENZEN

  1. EINLEITUNG

ie folgende Arbeit ist eine Annäherung an die Menschenrechte und Drogenpolitik in Deutschland, mit einem Überblick der internationalen, und nationalen aktuelle Situation.

Eine Gruppe, die in verschiedenen Aspekten und aus verschiedenen Perspektiven zu Drogenpolitik in Deutschland und auf internationaler Ebene arbeiten, fand sich zusammen, um eine Umfrage zu Menschenrechte und Drogenpolitik durchzuführen und diese Publikation zu erstellen.


Angesichts der aktuellen Debatte und der doch mangelnden Bereitschaft von Entscheidungsträgern und Gesetzgebern, um Verantwortung für Entkriminalisierung und verantwortungsvolle Regulierung von Cannabis zu übernehmen, wurden in dieser Publikation Beiträge gesammelt, und eine Umfrage durchgeführt, um die Diskussion zu ergänzen.

Kurze Übersicht zur Situation der Menschenrechte und Drogenpolitik auf internationaler Ebene

Dies stellt einen kurzen Einblick dar. Und ist nicht eine Beschreibung der Situation der unterschiedlichen Regionen und Kontinente, dies sprengt den Rahmen dieser Arbeit.

Seit 2018 wird auf internationaler Ebene, bei der EU und auch Vereinten Nationen für eine Reform der Drogenpolitik weltweit plädiert, in Richtung einer humanitären und menschlichen Drogenpolitik, bei der die Menschenrechte geachtet und die Menschen im Zentrum stehen.

Die Vereinten Nationen haben sich erstmals 2018 auf einen "gemeinsamen Standpunkt zur Unterstützung der Umsetzung der internationalen Drogenkontrollpolitik durch eine wirksame Zusammenarbeit zwischen den Behörden" geeinigt. Dieser fördert, eine Neuausrichtung der Politik und der Programme weg von Bestrafung und Repression, und hin zur Unterstützung einer wirksamen Gesundheits- und Sozialhilfe. Trotz zahlreicher Beweise und internationalen Vereinbarungen bleibt die globale Bedarfsabdeckung hinter den Bedürfnissen zurück.

Während der 62. Tagung der UN-Suchtstoffkommission 2019, an der rund 2.000 Delegierte aus den UN-Mitgliedsstaaten, der Wissenschaft und der Zivilgesellschaft teilnahmen,

wurde eine Ministererklärung zur „Stärkung unserer nationalen, regionalen und internationalen Maßnahmen zur Beschleunigung der Umsetzung unserer gemeinsamen Verpflichtungen zur Bewältigung und Bekämpfung des globalen Drogenproblems" präsentiert.[1] Im Anschluss an diese Ministererklärung  wurde entschieden, in der Kommission für Suchtstoffe im Jahr 2029 die Fortschritte bei der Umsetzung aller der internationalen Verpflichtungen in der Drogenpolitik zu überprüfen, mittels einer Halbzeitüberprüfung in der Suchtstoffkommission im Jahr 2024.

Im Rahmen dieser Tagung im März 2019 wurden die internationalen Leitlinien zu Menschenrechten und Drogenpolitik - oder Human Rights and Drug Policy Guidelines - veröffentlicht. UN-Organisationen wie dem Aids-Programm [UNAIDS], dem Entwicklungsprogramm UNDPF, der Weltgesundheitsorganisation [WHO], zahlreichen UN-Mitgliedsstaaten und führenden Menschenrechtsexpert*innen arbeiteten an der Entwicklung derselben. In einer Presseerklärung von UNAIDS heißt es: “Die Fakten zeigten, dass das Strafrecht den illegalen Drogenmarkt nicht eindämmen könne…”. Der Krieg gegen Drogen" schütze die Gesellschaft nicht, sondern führe zu zahlreichen Menschenrechtsverletzungen und verursache viel menschliches Leid.”. Die Regierungen sollten stattdessen die Menschenwürde, die Menschenrechte und die nachhaltige Entwicklung ins Zentrum ihrer Drogenpolitik stellen. Nur so könne der Rechtsstaat geschützt und das Recht aller Menschen auf Gesundheit, Schutz vor Folter und angemessene Lebensbedingungen gesichert werden.” [2]

Die Leitlinien [3]benennen folgende 13 Rechte, welche die Staaten schützen und umsetzen müssten:

  1. das Recht auf den bestmöglichen Gesundheitszustand einschließlich des Rechts auf Schadensminimierung, auf freiwillige Behandlung der Drogenabhängigkeit und des Zugangs zu Zugang zu kontrollierten Substanzen (etwa zur Substitutionsbehandlung oder Schmerztherapie)
  2. das Recht, vom wissenschaftlichen Fortschritt zu profitieren, etwa mit Blick auf moderne Drogentherapien oder ein fortschrittliches Strafrecht
  3. das Recht auf einen angemessenen Lebensstandard
  4. das Recht auf soziale Sicherung auch für Drogengebraucher_innen und Inhaftierte
  5. das Recht auf Leben (daher dürfe keine Todesstrafe auf Drogendelikte verhängt werden)
  6. das Recht auf Freiheit von Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (etwa durch Entzug von Substitutionsmedikamenten)
  7. das Recht auf Schutz vor willkürlichen Verhaftungen
  8. das Recht auf einen fairen Prozess
  9. das Recht auf Privatsphäre
  10. das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit
  11.  das Recht auf Teilhabe am kulturellen Leben
  12. das Recht auf Meinungsfreiheit, freie Meinungsäußerung und Zugang zu Informationen
  13. das Recht, sich friedlich zu versammeln und zu Vereinigungen zusammenzuschließen.

Auf dem Weg zu einer humanitären Drogenpolitik 

Der Sinn der humanitären Politik zielt darauf ab, die Drogenproblematik auf allen Ebenen anzugehen, indem der Schwerpunkt auf eine humane Haltung zur Unterstützung von Menschen mit Drogenproblemen gelegt wird. Der Rome Consensus konzentriert Maßnahmen vor allem auf diejenigen, die tagtäglich mit ihrer Krankheit zu kämpfen haben, auf diejenigen, die elend leben, weil sie diskriminiert, gefoltert, jeglicher gesundheitlicher und sozialer Unterstützung und ihrer Rechte und Würde beraubt werden. Das vorrangige Ziel der humanitären Hilfe und des humanitären Ansatzes ist es, Leben zu retten, Leiden zu lindern und die Menschenwürde zu wahren.  Dennoch mangelt es derzeit an politischem Willen, Finanzierung und Kapazitäten.

2020 wurde die Initiative “Rome Consensus 2.0[4] wiederaufgenommen, die weltweit, und aus dem Herzen der IFRC - International Federation of Red Cross and Red Crescent Societies - für eine humanitäre Drogenpolitik einsteht, weil eine Reform dringend notwendig ist. Folter und sogar Todesstrafen, Verfolgung und Inhaftierung wegen Konsum oder Besitz von Drogen für Eigenbedarf kann man täglich auf der ganzen Welt finden. Der Rome Consensus 2.0 baut auf dem Rome Consensus für eine humanitäre Drogenpolitik auf, der 2005 von Vertretern von 121 nationalen Rotkreuz- und Rothalbmondgesellschaften aus aller Welt verabschiedet wurde. Der neue Konsens soll Prinzipien für eine humane und effektive Drogenpolitik formulieren, welche die individuelle und öffentliche Gesundheit priorisieren. Und bezieht sich auf den zunehmenden illegalen Drogenkonsum und die damit verbundenen Probleme weltweit. Eine wirklich wirksame gesundheitsbasierte Drogenpolitik sollte eine angemessene Bereitstellung von evidenzbasierter Prävention, praktischen Maßnahmen zur Schadensminderung und zugänglichen Behandlungs- und Rehabilitationsdiensten umfassen.

Die internationale Gemeinschaft hat zahlreiche Verpflichtungserklärungen in Bezug auf ihrer Reaktion auf Drogen abgegeben, aber es fehlt immer noch ein solides und verbindliches System, um ihre Umsetzung zu gewährleisten. Professionelle Gremien, die Zivilgesellschaft und betroffene Gemeinschaften müssen alle eine zentrale Rolle bei der Antwort auf Drogen spielen. Ein Erfolg wird nur dann möglich sein, wenn auf allen Ebenen sich Menschen dafür einsetzen, dass mehr Investitionen getätigt werden und ein stärkeres öffentliches Bewusstsein für die Umsetzung einer bewussteren und wirksameren Drogenpolitik geschaffen wird. Mit Zusammenarbeit, können die vermeidbaren und inakzeptablen gesundheitlichen und sozialen Schäden, die mit der weltweiten Drogensituation verbunden sind, verringert und überwunden werden. Die Regierungen, NGOS und Verbündeten verfügen bereits über die Instrumente, Leitlinien und Beweise, die zur Bewältigung dieser Herausforderungen benötigt werden. Dazu gehören unter anderem die normativen Leitlinien der Vereinten Nationen zur Prävention,[5] zur Behandlung,[6] zur Schadensminimierung,[7] zum Umgang mit Überdosierungen,[8] zur Abwendung von Verhaftungen,[9] zu den Menschenrechten und zur Gewährleistung des Zugangs zu Medikamenten.

Auf EU Ebene gab es auch Bemühungen. Im Sept.2021 wurde eine Publikation, mit dem Titel “Menschenrechte im Mittelpunkt der Drogenpolitik.” veröffentlicht, zum 50-jährigen Bestehen der Pompidou-Gruppe, der internationale Kooperationsgruppe des Europarats für Drogen und Suchtfragen. Darin wird bestätigt, “in den meisten europäischen Ländern blieb der Cannabiskonsum junger Erwachsener in den 2010er Jahren stabil oder stieg an. Der Besitz von Cannabis ist nach wie vor die Hauptursache (75 %) für alle in der EU erfassten Drogendelikte.”[10]

Menschenrechte und Drogenpolitik in Deutschland - Ende des Cannabisverbots?

Auf nationaler Ebene ist Cannabis als Medizin in Deutschland seit März 2017 erlaubt[11].

2021 und 2022 wurden von der Bundesregierung verschiedene Maßnahmen durchgeführt im Rahmen des Prozesses zu einem Gesetzesentwurf für Cannabisregulierung nachzukommen. Expertenanhörungen und Austausch mit internationalen Akteuren fanden statt. Teil dieses Prozesses ist auch das Eckpunktepapier der Bundesregierung zur kontrollierten Abgabe von Cannabis an Erwachsene zu Genusszwecken. Es wurde vom Gesundheitsministerium im Herbst 2022 vorgestellt. Ein Gesetzesentwurf zur kontrollierten Abgabe von Cannabis wurde für Frühling 2023 vom Gesundheitsministerium versprochen.

Die wichtigsten geplanten gesetzlichen Regelungen zur Cannabis-Legalisierung, aus dem Eckpunktepapier sind:

  1. Cannabis und Tetrahydrocannabinol (THC) werden künftig rechtlich nicht mehr als Betäubungsmittel eingestuft.
  2. Die Produktion, die Lieferung und der Vertrieb werden innerhalb eines lizenzierten und staatlich kontrollierten Rahmens zugelassen.
  3. Der Erwerb und der Besitz bis zu einer Höchstmenge von 20 bis 30 Gramm Genusscannabis zum Eigenkonsum im privaten und öffentlichen Raum werden straffrei ermöglicht.
  4. Privater Eigenanbau wird in begrenztem Umfang erlaubt.
  5. Laufende Ermittlungs- und Strafverfahren sollen zu dann nicht mehr strafbaren Handlungen beendet werden.
  6. Der Vertrieb darf mit Alterskontrolle in lizenzierten Fachgeschäften und ggf. Apotheken erfolgen.
  7. Werbung für Cannabisprodukte wird untersagt.
  8. Es werden Vorgaben festgelegt, um die Qualität und Reinheit sicherzustellen.
  9. Als Mindestaltersgrenze für Verkauf und Erwerb wird die Vollendung des 18. Lebensjahres festgelegt (ggf. mit einer Obergrenze für den THC-Gehalt bis zum 21. Lebensjahr).
  10. Es ist die Einführung einer besonderen Verbrauchssteuer („Cannabissteuer“) vorgesehen.
  11. Die cannabisbezogene Aufklärungs- und Präventionsarbeit sowie zielgruppenspezifische Beratungs- und Behandlungsangebote werden weiterentwickelt. [12]

Dennoch, trotz Fortschritte in der deutschen Drogenpolitik zeigt sich, dass konsumnahe Delikte, insbesondere Cannabiskonsum immer noch von der Polizei stark verfolgt wird.


Eine Analyse des LEAP-Deutschland e.V. Vorsitzenden und Polizeipräsident in Münster a.D., Hubert Wimber zu der polizeilichen Kriminalstatistik 2021 zeigt, dass die Kriminalität in Deutschland seit Jahren zurückgeht, hauptsächlich bei Gewaltverbrechen und Wohnungseinbrüchen. Die Polizei hat 2020 über eine Million Straftaten weniger registriert als 2016, was den niedrigsten Stand seit 1993 bedeutet. Allerdings verlagert sich die Kriminalität zunehmend in den digitalen Raum, und die Fallzahlen für Cyberkriminalität und Subventionsbetrug steigen. Trotzdem ist die Gesamtentwicklung positiv, und die Polizei wird für ihre Arbeit gelobt. Eine Ausnahme von diesem Trend bilden Rauschgiftdelikte, die seit Jahrzehnten steigen. Im Jahr 2020 wurden 365.753 polizeiliche Ermittlungsverfahren wegen Rauschgiftdelikten registriert, was den höchsten Stand seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 1987 darstellt. Der Anstieg geht überwiegend auf allgemeine Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz zurück, die den Besitz und Erwerb von Drogen unter Strafe stellen. Dies sind hauptsächlich konsumnahe Delikte, bei denen fast ausschließlich Menschen die Drogen nutzen, im Fokus der Strafverfolgungsbehörden stehen. Im Gegensatz dazu sind die Ermittlungsverfahren für Handelsdelikte, die Personen betreffen, die auf der Angebotsseite des Drogenmarktes tätig sind, im Vergleich bescheiden gestiegen. Die Polizei macht in der überwiegenden Mehrzahl ihrer Aktivitäten Jagd auf Konsumenten, und nicht auf diejenigen, die den Anbau, Handel und Verkauf illegaler Substanzen als Mitglieder krimineller Organisationen kontrollieren.

Der Anstieg der Fallzahlen in Verbindung mit Ergebnissen von Erhebungen zum selbstberichteten Konsum belegt, dass die verfolgte Zielsetzung, durch die Strafbarkeit aller Umgangsformen mit den vom Gesetz umfassten Substanzen potenzielle Nutzer vom Konsum abzuhalten, gescheitert ist. Der Drogenmarkt zeigt, dass die Nachfrage nach psychoaktiven Substanzen unabhängig von den Straftatbeständen des BtMG besteht, und das Entstehen krimineller Organisationen fördert. Die Polizei ist jedoch verpflichtet, Straftaten zu verfolgen und daher steigen die Fallzahlen der Drogendelikte trotz fehlender Anzeigen. Der Anstieg der Ermittlungsverfahren und konsumnahen Delikte ist daher darauf zurückzuführen, dass die Polizei den Kontrolldruck auf die Drogenszene durch vermehrten Personal- und Ressourceneinsatz erhöht.

Wimber empfiehlt, die Motive und Interessen hinter der Zunahme repressiver Maßnahmen seitens der Strafverfolgungsbehörden zu untersuchen, da bisher keine wissenschaftliche Untersuchung mit validen Ergebnissen vorliegt.

Tabelle 1 (PKS Rauschgiftdelikte, Zeitreihe 2012 – 2020) Image: H.Wimber

 

Die Darstellung der Fallzahlen in Tabelle 2 beginnend im Jahr 1987 (soweit lässt sich anhand  der aktuellen Vorlage der PKS durch das Bundeskriminalamt die Entwicklung rückverfolgen) verdeutlicht, dass der Anstieg der Deliktszahlen nach dem BtMG insgesamt und der konsumnahen Delikte nahezu parallel erfolgt. Die Gesamtzahl hat sich in diesem Zeitraum fast verfünffacht, die Zahl der konsumnahen Delikte fast versechsfacht. Auch in diesem Zeitraum von fast 35 Jahren vollzieht sich dagegen der Anstieg der Handelsdelikte mit aktuell 54.356 Ermittlungsverfahren gegenüber 27.664 im Jahr 1987 eher moderat. Und noch etwas ergibt sich aus der Analyse der polizeilich registrierten Ermittlungsverfahren: ca. 2/3 aller BtMG-Verfahren betreffen unabhängig vom Deliktstyp und vom Jahr der Erhebung Cannabis oder deren Zubereitungsformen als zugrundeliegende Substanz.

Tabelle 2 (Entwicklung ausgewählter Delikte nach dem BtMG 1987 – 2020) Image: H.Wimber

In der Zeit zwischen 2020 und 2022 gab es mehrere Forderungen diverser Organisationen aus dem Bereich der Drogenpolitik und Harm Reduction. Die Entkriminalisierung von Menschen die Cannabis konsumieren, eine kontrollierte Abgabe an Erwachsene, Änderungen im Führerscheinrecht wurden gefordert und sogar richterliche Vorlagen an das Bundesverfassungsgericht sind eingereicht worden (Amtsgericht Bernau und Amtsgericht Pasewalk).

II. DIE UMFRAGE ZU MENSCHENRECHTE UND DROGENPOLITIK IN DEUTSCHLAND

Auf Initiative des Knowmad Instituts und mit Unterstützung von LEAP-Deutschland e.V. wurde im Jahr 2021 eine mehrmonatige Umfrage zu menschenrechtlichen und drogenpolitischen Themen in Deutschland erhoben. Ein internationales Team hat mitgewirkt und Beiträge von weiteren Experten eingeholt. Die aktuelle Situation erfordert mehr Beiträge zur Debatte, damit mehr informierte Entscheidungen getroffen werden können.
Ziel der Umfrage war es, erstmal zu testen, wie die Umfrage umgesetzt werden kann. Es wurden Fragen zu allgemeinen Daten, zu Drogenkonsum und politischen Wahrnehmungen, und zur regelmäßigen Cannabisnutzung gestellt. Die Einladung zur Datenerhebung geschah über soziale Medien (Facebook und Twitter).
Mittels eines Google Formulars, und der Erstellung eigener Instrumente, konnte die Wahrnehmung und Meinung von 2070 Personen in Deutschland erhoben und interpretiert werden.

In dieser Publikation wird nun eine Auswahl der Ergebnisse vorgestellt.

Da die Regulierung/Legalisierung von Cannabis ein aktuelles Thema ist, welches viele Menschen bewegt und betrifft, ist diese Umfrage Teil des Prozesses, in einem Land, welches nach dem besten Weg sucht, das Cannabisverbot zu beenden.  

Wenn der Leser, die Leserin bei der Lektüre einen neuen Punkt entdeckt hat, wo überall die schädlichen Folgen der Prohibition hinlangen und, und dass insbesondere in Deutschland auch eine Reform der Drogenpolitik dringend Not tut, dann ist das Ziel erreicht.


Für Erweiterung und Kommentare, Reviews und konstruktive Kritik sind wir offen und dankbar. Gerne kann Kontakt aufgenommen werden.

LEAP(Law Enforcement Against Prohibition)-Deutschland e.V. ist ein bundesweites und globales Netzwerk, das auf die schädlichen Folgen der Drogenprohibition und des „Krieges gegen die Drogen” aufmerksam machen und legale Alternativen zur repressiven Drogenpolitik aufzeigen möchte. Es geht dem Verein darum, die durch das gesetzliche Verbot verursachten Todesfälle, Erkrankungen, die dadurch hervorgerufene Kriminalität sowie die Abhängigkeit von Drogenkonsumenten zu reduzieren. Er fordert von den politisch Verantwortlichen eine ideologiefreie und wissenschaftliche Überprüfung von Schaden und Nutzen der aktuellen Drogenpolitik.

Das Knowmad Institut gemeinnützige UG (haftungsbeschränkt) widmet sich der Förderung von Forschung und Wissenschaft, versteht sich als Europäisches Institut für Multidisziplinäre Studien zu Menschenrechten und Wissenschaften. Als unabhängiger Think and Do Tank fördert es im Programm für Drogenpolitik und Menschenrechte,  Forschungsprojekte und Publikationen, Beratung für ForscherInnen und StudentInnen und organisiert Veranstaltungen rund um diese zeit- und fachübergreifende Thematik.
Das Knowmad Journal für Menschenrechte und Wissenschaften nimmt Paper und Artikel zu diesem und verwandten Themen auf.
Ein Forschungstool welcher herzlichst empfohlen wird, ist das Knowmad Research Gateway, welches ein wichtiges und sehr nutzerfreundliches Instrument für Recherchierende darstellt.

 III.  DIE DATEN ERHEBUNG UND ANALYSE

Estellt wurde eine interaktive Seite mit Grafiken zu Ergebnissen der Umfrage zu Menschenrechte und Drogenpolitik in Deutschland. In diesem Tool kann man selbst surfen und in den Daten auf Entdeckungsreise gehen.  Angewendet wurde eine interaktive Flourish data visualization.

Übersicht der Grafiken: 

Grafiken 4-12: zu den allgemeinen Daten,
Grafiken 13-40: zu Drogenkonsum und politischen Wahrnehmungen,
Grafiken 41-49: Antworten bei regelmäßiger Cannabisnutzung

https://bit.ly/mddeu 

Deutschland auf dem Weg zur staatlichen Regulierung von Cannabis?

Jorge Vicente Paladines*

*European Institute for Multidisciplinary Studies on Human Rights & Sciences - Knowmad Institut.

Die Umfrage zu Drogenpolitik und Menschenrechten in Deutschland wird einfach bedienbar digital dargestellt, was die Veranschaulichung für jeden attraktiv, leicht zugänglich und verständlich macht. Im Grunde beginnt die Erhebung mit der Beschreibung des “Ist-Zustands” in Bezug auf den Konsum von Drogen wie Cannabis, im Zusammenhang mit den Faktoren, die zwischen den Praktiken und sozialen Vorstellungen des Konsums und der überwiegenden staatlichen Reaktion bestehen.

In methodologischer Hinsicht verfügt diese Erhebung über ein repräsentatives Ergebnis für die Zwecke der Diagnose. Es handelt sich nicht um eine reine Zählung oder eine Untersuchung mit mathematischen Formeln für ein Land mit etwa neunzig Millionen Einwohnern, sondern um die Befragung von etwa 2100  Personen, die auf zentrale Fragen zu ihren Praktiken und Eindrücken über das Verhältnis zwischen Konsum und Staat antworten. Die Gruppe der Befragten spiegelt exemplarisch die Zugehörigkeit zu sozioökonomischen Schichten wieder, die typisch europäisch sind und in denen Bildungshintergrund, das Bildungsniveau und Zugang zu Information, sich weit von den Gesellschaften der Entwicklungsländer oder des globalen Südens unterscheidet.

Diese erste Feststellung ist sehr wichtig, weil sie zeigt, dass die befragte Gruppe von einer besseren Position in Bezug auf Information und Kompetenz in der Debatte profitiert und gleichzeitig jegliche Form von Einflussnahme der Erheber gegenüber den Befragten ausgeschlossen ist. Es bestand also völlige Unabhängigkeit und Freiheit in der Art und Weise, wie die Antworten der Probanden ausfielen. Die Authentizität der Antworten ist so garantiert.

Wie jede solide Umfrage beginnt auch die Untersuchung des Knowmad-Instituts mit der Feststellung und Einteilung der Identitätsmerkmale der Befragten nach Altersgruppen sowie der politischen, ideologischen und religiösen Zugehörigkeit. Diese Darstellung der befragten Gruppe wird zu einem bereichsübergreifendes Thema, zumal Fragen im Zusammenhang mit der Drogenpolitik - wie Harm Reduction - zu finden sind, die von den oben beschriebenen Bedingungen abhängen. Dabei enthüllt die Umfrage auch, wie die „Cannabisfrage" wahrgenommen wird, durch das Verständnis über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des Gebrauchs und der Legalisierung der Hanfpflanze.

Ein wichtiger Teil der Umfrage betrifft den Kenntnisstand über das aktuelle Betäubungsmittelgesetz (BtMG) und das von den Grünen 2015 vorgestellte Konzept zur kontrollierten Regulierung von Cannabis. Mit anderen Worten: In einer Gesellschaft wie der deutschen gibt es einen bedeutenden Teil der Bevölkerung, der Cannabis konsumiert und sich zumindest der gesetzlichen Vorschriften (Auflagen oder Verbote) sowie der Entwicklung der rechtlichen Debatte zur Entkriminalisierung (Erwartungen und Freiheiten) bewusst ist.

Des Weiteren liefert die Umfrage eine interessante Betrachtung darüber, wie die Befragten den Zusammenhang zwischen Drogen und Kriminalität einschätzen. Obwohl sie die Existenz illegaler Märkte und des Drogenschmuggels - sowie das Versagen der Politik in Bezug auf Polizeimaßnahmen und Strafverfolgung - kennen, verbinden sie Cannabiskonsum nicht mit Kriminalität, sondern mit anderen sozialen Faktoren. Daher werden die sozialen Praktiken des Cannabiskonsums von den Aktionen der organisierten Kriminalität gedanklich getrennt, so dass sich Diskussionsszenarien ergeben, die weniger von kriminogener Sprache beeinflusst sind.

Interessanterweise stimmen die Befragten mit überwiegender Mehrheit zu, dass die Regulierung in den Händen des Staates und nicht in den Händen von Privatunternehmen oder des freien Marktes liegen sollte. Dies ist eine äußerst wichtige Tatsache, da sie dazu beiträgt, die Erwartungen der Bürger an die Regulierung von Cannabis zu verstehen. Auch hier besteht ein Unterschied zu den Wahrnehmungen der Bürger in Ländern wie Kanada und den Vereinigten Staaten, in denen die Regulierungsprozesse in Richtung des freien und korporativen Marktes pendelten.

Diese Antworten stehen wiederum in Zusammenhang mit dem sozialen Status der Befragten. Nicht nur wegen der Angaben zu der Art und Weise des Konsums, sondern auch wegen ihrer Eindrücke hinsichtlich möglicher Erfahrungen mit Kriminalisierung oder polizeilicher Gewalt, denn die meisten Befragten erlebten keinen Konsum von Substanzen minderwertiger Qualität oder Auslieferung an Strafverfolgungs- und Justizbehörden.

In diesem Zusammenhang bleibt die Frage offen, ob das Zugehörigkeitsgefühl und die Identität der Befragten mit den mittleren sozioökonomischen Segmenten und Nicht-Migranten assoziiert sind oder ob einige zumindest einen entfernten und nicht unmittelbaren Migrationshintergrund haben; eine Frage, die sich angesichts der mehrheitlichen Unterstützung für die Ausweisung ausländischer Krimineller aus dem Land als Ausweg aus der Drogenkriminalität stellen könnte.

Abgesehen von den Debatten, die alle Umfragen auslösen, ist die vom Knowmad Institut durchgeführte Arbeit wertvoll und sollte daher verbreitet und auch in anderen Teilen der Welt repliziert werden. Auch wenn zusätzliche Fragen aufgekommen sind - oder einige bestehende Fragen abgeschwächt wurden -, ist dies ein wichtiger Beitrag zur Forschung. Allmählich werden die Herausforderungen des neuen Marktes aufkommen, aber die Ergebnisse bieten eine interessante Entscheidungsgrundlage für zivilgesellschaftliche Organisationen und deutsche Regierungseinrichtungen, die den Willen haben, die Cannabis-Drogenpolitik zu verändern. Eine Gelegenheit, den Weg zur Entkriminalisierung zu ebnen.

Diskriminierung auch im Herzen Europas

Natascha Barz*

*Law Enforcement Against Prohibition Deutschland

Die Umfrage zur Drogenpolitik und Menschenrechte in Deutschland wurde durchgeführt durch das Knowmad Institut und LEAP Deutschland. Zeitraum der Umfrage: Februar bis Oktober 2021 über soziale Medien und drogenpolitische Veranstaltungen in Deutschland - Teilnehmerzahl: 2070

Die Umfrage wurde interaktiv durchgeführt. Die höchste Anzahl an Teilnehmern kommen aus Bayern und Nordrhein-Westfalen, danach folgen Baden-Württemberg, Hessen, Niedersachsen, Berlin und alle anderen Bundesländer. Die meisten Teilnehmer sind männlich (86,2%), lediglich 13,6 % sind weiblich (Rest: andere Antworten). Die größte Altersspanne ist mit 25-44 Jahren vertreten. Unter den Teilnehmern stellt die größte Gruppe die Hochschulbesucher /-absolventen dar.

Interessant ist die Frage zum Bildungsniveau und Cannabiskonsum: in allen Gruppen der Schulabsolventen überwogen die Konsumenten zu den Nicht-Konsumenten. Besonders deutlich wurde dies in den großen Gruppen der Hochschulbesucher/-absolventen, Realschüler und der Gymnasiasten gefolgt von den Hauptschülern, Absolventen eines zusätzlichen Studiums und zuletzt den Grundschulbesuchern ohne weiteren Schulabschluss.

Source: Drogenpolitik und Menschenrechten in Deutschland. P.10

Die meisten Teilnehmer der Umfrage sind Angestellte, Studenten, Selbständige oder Rentner weit überwiegend im Vergleich zur Gruppe der Arbeitslosen oder im Haushalt tätigen.

Source: Drogenpolitik und Menschenrechten in Deutschland. P.11

Unter den Befragten kennen 72,7 % das Prinzip der “Harm Reduction”, so wie die meisten auch das BtMG kennen und das Cannabiskontrollgesetz.

Es folgen allgemeine Fragen zur Situation in den letzten 2 Jahren: eine Frage nach dem Kriminalitätsempfinden (gestiegen/gleich) und der Frage danach, ob man Opfer krimineller Handlungen wurde und ob man vermuten würde, dass die Täter krimineller Handlungen eher unter Deutschen oder Menschen mit ausländischen Wurzeln vermutet werden. Die meisten der Befragten würden gern in ein anderes Land ziehen (auswandern).

Interessant ist die Frage nach einer Beziehung zwischen Kriminalität und Drogenkonsum - hier vermuten 55 %der Teilnehmer einen Zusammenhang - 45 % hingegen nicht. Befragt nach einer Beziehung zwischen Kriminalität und Cannabiskonsum, vermuten 13,9 % der Befragten einen Zusammenhang, 86,1 % hingegen nicht. Hierbei wäre es sicherlich noch interessant, inwiefern von einem drogeninduzierten Zusammenhang ausgegangen wird, also ob die Droge für die Kriminalität auslösend war oder inwiefern hier Zusammenhänge vermutet werden.

Source: Drogenpolitik und Menschenrechten in Deutschland. P.27

Befragt zu der Zunahme des illegalen Drogenhandels in Deutschland, wird dies überwiegend als moderat bis viel angegeben - nach Ansicht der Teilnehmer hat vorwiegend die Verfügbarkeit von Cannabis und neuen psychoaktiven Drogen zugenommen. Der Drogenkonsum von Jugendlichen wird von den Befragten als moderat zunehmend wahrgenommen. Außerdem wird eine Steigerung der Akzeptanz des Freizeitkonsums von Cannabis von den Teilnehmern der Befragung wahrgenommen.

Source: Drogenpolitik und Menschenrechten in Deutschland. P.33

Auffallend ist, dass 98,6 % der Umfrageteilnehmer glauben, dass polizeiliche Maßnahmen und Strafverfolgung keine effiziente Politik zur Reduzierung des Drogenkonsums darstellen. 89% der Befragten finden, dass die Produktion von illegalisierten Drogen staatlich reguliert werden sollte. Die meisten Umfrageteilnehmer kennen GPDPD (globale Partnerschaft für Drogenpolitik und Entwicklung) nicht. 87,5 % finden, dass Cannabis legal sein sollte, 11,5 % meinen, dass Cannabis reguliert werden sollte und lediglich 0,8 % der Teilnehmer sind dagegen. Insgesamt sind 97,8 % der Meinung, dass der Konsum von Substanzen als individuelles Recht anerkannt werden sollte, 2,2 % lehnen dies ab.

Zur Frage, ob Teilnehmer der Umfrage jemals unter Drogeneinfluss (inklusive Alkohol) zur Arbeit erschienen sind, bejahen dies 48,4 % der Befragten, wohingegen 51,6 % dies verneinen. Die Risiken von Substanzen werden unterschiedlich eingeschätzt. Zum Konsumverhalten befragt, gaben 61,3 % der Teilnehmer an, in der letzten Woche Cannabis konsumiert zu haben, 49,5 % haben Alkohol und 56,5 % haben Tabak in der vergangenen Woche konsumiert. Weitere detaillierte Angaben zur Häufigkeit und auch zum Konsum anderer Drogen werden besser in der Umfrage selbst abgelesen.

Source: Drogenpolitik und Menschenrechten in Deutschland. P.41

Zum regelmäßigen Cannabiskonsum befragt, bejahten dies 67,6 % der Teilnehmer, 32,4 % verneinten regelmäßigen Konsum. Zumeist werden Buds & Tabak gemischt konsumiert, dann folgen Blüte und Buds pur, Hasch & Tabak gemischt, Hasch pur, Konzentrate, E-Liquids und zuletzt “anderes Derivat”. Bevorzugte Konsumformen sind auf Platz 1 der Joint, gefolgt vom Vaporizer, in Speisen/Getränken, Glaspfeife oder Bong, Holzpfeife, Tinktur, E-Zigarette (siehe Schaubild in der Umfrage). Die bevorzugte Konsumart ist das Rauchen mit 69,6 %, Verdampfen mit 28,2 % und andere bei 2,2 %. Hierbei fällt auf, dass überwiegend inhalativ die Wirkstoffe aufgenommen werden, obwohl bei der Frage der bevorzugten Konsumform auf “Platz 3” Speisen und Getränke genannt werden (37,5%).

Befragt zum Erwerb/Zugang zu Cannabis, so sind die bevorzugten Bezugsarten “über einen Freund*in”, “kauft selbst auf dem Schwarzmarkt”, “Bekannte*r kauft auf dem Schwarzmarkt”, “Eigenanbau”, “andere Quelle”, “Apotheke”, “Darknet”, “Arbeitskolleg*in”, “Soziale Netzwerke”, “Familienmitglied”, “Cannabis Social Club” und zuletzt “Partner*in”. Die Tatsache, Cannabiskonsument*in zu sein, geben 38,8 % ehrlich und offen zu, 46,6 % gehen sehr selektiv damit um und 14,3 % geben an, dass sie dieses Thema sehr intim behandeln.

Source: Drogenpolitik und Menschenrechten in Deutschland. P.47

Zu Diskriminierung befragt, kommt dies unter Freunden und in der Familie deutlich weniger vor als unter Staatsbediensteten. Zur Frage, ob man verbale Gewalt durch staatliche Sicherheitskräfte erlebt habe, antworteten 62 % mit Nein, hingegen 38 % mit Ja. Körperliche Gewalt haben 18,9 % erfahren, 81,1 % nicht.

Zum Konsumzweck befragt, gaben 80,8 % einen regelmäßigen Freizeitkonsum an, zur Meditation wird Cannabis nur zu 28,4 % der Teilnehmer regelmäßig genutzt, medizinisch wird Cannabis von den Befragten zu 54 % regelmäßig verwendet. Zur Steigerung der Kreativität wird Cannabis von 40,5 % regelmäßig und von 41,9% selten verwendet. Zur Fokussierung wird Cannabis zu 38 % regelmäßig verwendet und zum Sport treiben lediglich von 13,2 % regelmäßig und von 29,6 % selten. Weiterhin wurden die Teilnehmer befragt, wie häufig sie in ihrem Umfeld von Familie, Vorgesetzten, Freunden, etc. wegen ihres Konsums diskriminiert wurden. Auch hier ist der Wert bei den Staatsbediensteten am höchsten.

Der Aussage: “Seitdem ich regelmäßig Cannabis konsumiere, trinke ich weniger Bier.“ stimmten 87,2 % der Befragten zu, 12,7 % verneinten dies.

Weitere interessante und detaillierte Werte werden auf der interaktiven Umfrage aufgeführt und sind dort sehr gut ablesbar.

Zusammenfassung:

Aus der Studie lässt sich gut ablesen, dass sich der Anteil der Cannabiskonsumenten in allen Bildungsschichten findet. Entgegen der stigmatisierten Annahme, dass Cannabiskonsumenten vorwiegend bildungsarm und arbeitslos sind, zeigt sich in dieser Umfrage das Gegenteil: auch bei den als höherwertig betrachteten Bildungsabschlussinhabern wie Hochschulabschluss, Studenten, Abiturienten und Realschülern ist der Anteil der Cannabiskonsumenten unter den Befragten größer als der Anteil der Nicht-Konsumenten. Gleiches gilt für Arbeitnehmer/Angestellte, Studenten, Selbständige oder Rentner, auch hier ist der Anteil der Cannabiskonsumenten größer als der der Nicht-Konsumenten. Der Anteil der Befragten ohne Beschäftigung war geringer als der Anteil mit beruflicher Beschäftigung.

Die meisten der Befragten setzen Drogenkonsum und auch Cannabiskonsum nicht mit Kriminalität gleich. Viele Konsumenten fühlen sich diskriminiert und einige wurden Opfer von verbaler oder auch körperlicher Gewalt, jedoch ist dies der geringere Teil der Befragten. Viele nehmen eine deutlich steigende Akzeptanz der Gesellschaft gegenüber Cannabiskonsumenten wahr. Viele verwenden Cannabis regelmäßig bis selten jedoch zu unterschiedlichen Zwecken (Freizeitkonsum, medizinischer Konsum, zu Sportzwecken oder meditativ…).

Es lässt sich aus den Antworten ablesen, dass aufgrund des derzeit illegalen Status der kriminalisierten Substanzen, überwiegend illegale Bezugswege genutzt  werden (mit Ausnahme der Apotheke), viele Nutzer sehr selektiv oder intim mit dem Thema umgehen aus Sorge vor repressiver Verfolgung und Diskriminierung, obwohl tatsächlich der Cannabiskonsum an sich nicht als problematisch wahrgenommen wird.

Die meisten Teilnehmer sind davon überzeugt, dass polizeiliche Maßnahmen und Strafverfolgung keine effiziente Politik zur Reduzierung des Drogenkonsums darstelle. Eine staatliche Regulierung illegaler Substanzen wird vorgezogen. Auch finden die meisten, dass es individuelles Recht eines jeden Einzelnen ist, Drogen zu konsumieren. 99 % der Befragten sind der Meinung, dass Cannabis legalisiert oder zumindest staatlich reguliert werden sollte - lediglich 0,8 % der Umfrageteilnehmer sind dagegen.

Insofern dürften die derzeitigen politischen Bemühungen von den meisten Teilnehmern der Umfrage begrüßt werden. Eine Regulierung von Drogen und insgesamt eine Entkriminalisierung würde wieder das Vertrauen in Staatsbedienstete stärken und generell zu einem offeneren Umgang mit Substanzen führen. Dies kommt nicht zuletzt der Gesundheit eines jeden Einzelnen zugute.

IV.  VON DER NEKROPOLITIK ZU VERANTWORTUNGSVOLLEN REGULIERUNG VON CANNABIS

Prohibition als Nekropolitik, Gesundheitspolitik und der Drogentod

Philine Edbauer*

* My Brain, My Choice.

1.398 Menschen starben 2019 infolge des Konsums illegalisierter Drogen nach offiziellen Zahlen in Deutschland; 9,6% bzw. 122 Personen mehr als im Vorjahr[13]. Dass der Drogentod kein konsumbedingtes, sondern ein politisches Problem ist, haben wir in einem unserer #mybrainmychoice-Hintergrundartikel ausführlich dargelegt[14]. Auf jährlichen Gedenk- und Protestveranstaltungen wiederholen viele Drogenabhängige, Ehemalige, Substituierende, Angehörige und Sozialarbeiter:innen ihre klaren Forderungen an die politisch Verantwortlichen zur Verhinderung von Drogentod:

Entkriminalisierung und flächendeckende, finanziell ausreichend ausgestattete Drogenhilfeeinrichtungen[15]. Aber auch dieses Jahr waren Medienecho und Reaktionen aus Politik auf die den über 40 Kundgebungen in Deutschland nur marginal. Die Drogenbeauftragte begründete die Todesfälle auf Twitter damit, dass „wir [die Menschen] mit unserem Hilfsangebot nicht erreichen konnten“[16].

Das ist nicht nur zynisch gegenüber dem seit langem  kritisierten mangelhaften Hilfesystem, sondern täuscht auch über die Tatsache hinweg, dass der Großteil der gesundheitlichen Notsituationen auf die deutsche Gesetzgebung zurückgeht[17]. Nicht nur im Inland ist der Erfolg bestimmter Maßnahmen wie Drogenkonsumräume und Diamorphin-Behandlung zu eindeutig, um sie nicht flächendeckend zu realisieren, sondern auch mit Blick nach z.B. Portugal[18] und Italien[19] sollten die signifikanten Senkungen von Todeszahlen infolge drogenpolitischer Änderungen zu sofortigem Handeln anregen. Statt die nötigen Maßnahmen jedoch mit voller Kraft durchzusetzen und die Kriminalisierung als zu überwindendes Problem zu benennen, werden von den stark fluktuierenden Drogenbeauftragten der Bundesregierung Jahr für Jahr wieder die – in den letzten Jahren tendenziell steigenden, aber insgesamt stabil bleibenden – Todeszahlen verkündet.[20]

Gesundheitserhaltende und -fördernde Empfehlungen von Expert:innen werden kaum umgesetzt[21] und dies, obwohl die Nationale Drogen- und Suchtstrategie (2012) vorgibt, die Gesundheit in den Mittelpunkt zu stellen (S. 6ff.) und das Amt der Drogenbeauftragten ans Gesundheitsministerium angegliedert ist, und demnach die Drogenpolitik in Deutschland als Gesundheitspolitik begriffen wird. Dies wirft die Fragen auf, warum offensichtlich erforderliche Maßnahmen zum Gesundheitsschutz eigentlich nicht umgesetzt werden? Warum gibt es so wenig Empörung in der politisch interessierten Öffentlichkeit und kaum Druck durch Journalist:innen? Warum gibt es vermeidbaren Drogentod?

Erklärungen für diese inkonsequente Gesundheitspolitik können aus verschiedensten Ansätzen, ob historisch, psychologisch oder soziologisch, verfolgt werden. Ich erörtere in diesem Aufsatz den Drogentod aus der Vogelperspektive mithilfe eines sozialtheoretischen und kulturanalytischen Modells, das den politischen Tod als immanenten Bestandteil unseres Zeitalters erklärt – die Nekropolitik.

Die Nekropolitik ist eine Weiterentwicklung des biopolitischen Analysemodells. Der Politikwissenschaftler Achille Mbembe beurteilte die Biopolitik, die auf den Philosophen Michel Foucault zurückgeht, als nicht ausreichend, um das aktuelle politische Geschehen historisch zu analysieren[22].

Während die Biopolitik darauf ausgerichtet ist, das menschliche Leben zu organisieren und Lebensqualität zu maximieren[23], brauche es Erklärungen für die grassierenden Kriege, Kolonialismus und Terrorismus[24]. Was hierbei nicht missverstanden werden darf: Das Politische meint nicht (nur) Parteipolitik, sondern alle sozialen, institutionellen und gesellschaftlichen Handlungen und Interaktionen[25]. Die Nekropolitik ist darauf ausgerichtet, den Tod zu organisieren[26], also darüber zu bestimmen „wer leben darf und wer sterben muss“[27]. Dabei geht es nicht nur um den körperlichen, sondern ebenso um den sozialen Tod, d. h. Verelendung durch Ausgrenzung und Immobilisierung[28].

Die Philosophin Marina Gržinić erläutert in einer Vorlesung, inwiefern die beiden Politiken gleichzeitig zusammenwirken – um beispielsweise das Sterben und Elend von Flüchtlingen an den hochgezogenen EU-Außengrenzen erklären zu können, während sich innerhalb von Europa die Wohlfahrtstaaten um ihre Bürger:innen kümmern[29]. Die politische Organisation von Leben und Tod sind koexistent und schließen sich nicht aus. Für die einen Menschen ist ihre Existenz auf Lebensoptimierung, für die anderen auf den Tod ausgerichtet. Und zwar entscheidet sich dies politisch; beispielsweise danach, ob man einen EU-Pass hat oder – und jetzt zurück zum Drogentod in Deutschland – ob lebensrettende und gesundheitsfördernde Maßnahmen für Drogengebraucher:innen zugestanden oder verwehrt werden. Wie eingangs dargestellt, bedingt die deutsche Drogenpolitik Ursachen für den Drogentod, da nahezu nichts unternommen wird, um die schädliche Gesetzgebung zu korrigieren und Gesundheitsschutz konsequent und flächendeckend zu etablieren. Dennoch steht sie kaum in der Kritik und wird sogar mehrheitlich unterstützt. Es gilt also nicht das biopolitische Prinzip „make live and let die“, sondern der Drogentod wird nekropolitisch organisiert.

Deutlich sichtbar ist dieses Verhältnis etwa in der Frankfurter Nachbarschaft von Bahnhofs- und Bankenvierteln, wo die vermeidbare Verelendung von obdachlosen Heroinabhängigen und extravaganter Lebensoptimierung nebeneinander existieren. Im Bahnhofsviertel sind es die Drogenhilfeeinrichtungen, die sich für den Ausbau von Maßnahmen der Gesundheitsförderung und -erhaltung einsetzen – gegen den Widerstand konservativer Politiker:innen und Anwohner:innen[30].

Die Verelendung gilt für die Prohibitions-Befürworter:innen als Argument zur Fortführung von Repression, Ausgrenzung und Verdrängung[31] – ein nekropolitischer Zirkelschluss.

An anderer Stelle zeigt sich das Zusammenspiel von Bio- und Nekropolitik am Paradox der illegalen Droge Cannabis. Im Zusammenhang mit Cannabis gibt es weder Tod noch Elend wie etwa im Frankfurter Bahnhofsviertel. Und spätestens nach David Nutts Studie über den Vergleich der Schädlichkeit von Drogen für die Gesellschaft[32], ist gezeigt, dass die Unterscheidung von Substanzen nach legal und illegal hinfällig ist.

Nicht zuletzt durch ihren Status als mit Abstand am häufigsten konsumierte illegale Droge ist weitreichend bekannt, dass Cannabis im Vergleich zu Alkohol relativ harmlos ist und ein gesetzliches Missverhältnis besteht – auch wenn man sich uneinig ist, ob und wie dieses Problem gelöst werden soll. Dass in der Cannabis-Debatte mit den Gefahren und Chancen für die Gesundheit (Cannabis als Medizin) argumentiert wird, zeigt, dass dies ein biopolitischer Diskurs ist. Aber wenn es keine Cannabistoten gibt – trotz repressiver Bedingungen – handelt es sich dann immer noch um einen rein biopolitischen Diskurs und keinen nekropolitischen? Und hier wird es nun spannend: um für die Cannabis-Prohibition zu argumentieren, wird der Drogentod anderer illegalisierter Drogen benutzt. Und zwar konstruieren sich Cannabis-Prohibitions-Befürworter:innen den Drogentod in ihre Argumentation hinein.

Der CDU-Gesundheitspolitiker Alexander Krauß kolportiert, erstens, den längst widerlegten Unsinn der „Einstiegsdroge Cannabis“, die zum Konsum „harter“ Drogen führe und damit zum Elend[33]. Widerlegt wurde diese Behauptung durch Aufzeigen des logischen Fehlschlusses und der widersprechenden Empirie[34] und wird auch von Drogenbeauftragten mittlerweile nicht mehr vertreten. Dies bringt den Drogentod aber zum Cannabis, indem die Pflanze mit synthetischen Cannabinoiden in Verbindung gebracht wird,  und auf diese Weise das zweite nekropolitische Argument konstruiert. Es gebe zwar keine Cannabistoten, aber Tode durch synthetische Cannabinoide[35]. Was diese Todesfälle mit Cannabis zu tun haben, bleibt unklar. Aber auch hier könnte man durch Prohibition bedingte Unfälle wieder vermeiden:

Nur ein qualitätskontrollierter, also legaler, Verkauf kann garantieren, dass Neue Psychoaktive Substanzen nicht unwissentlich als Beistoffe konsumiert werden. Auch diese beiden Argumente zielen also nicht darauf ab, etwas gegen Drogentod und Elend zu unternehmen. Stattdessen wird der Drogentod benutzt, um für die Prohibition zu argumentieren, die den Drogentod wiederum aufrechterhält.

Dass die Drogenpolitik nicht gesundheitsmaximierend ausgerichtet ist, ist in dem Analysemodell von koexistierender Bio- und Nekropolitik kein Paradox. Zur Erinnerung: Ich habe Ludwig und Krauß mit ihren Argumenten stellvertretend und prototypisch für den Diskurs präsentiert, aber nicht als maßgebliche Akteur:innen; Politik wird nicht nur durch Parteien, sondern durch uns alle bewusst und unbewusst als Kinder unseres Zeitalters gemacht (wenn auch in unterschiedlichen Machtverhältnissen).

Um Drogentod zu verhindern, gilt es, proaktiv darauf hinzuwirken, dass Gesundheit (und Menschenrechte) für jede:n garantiert werden. Als Aktivist:innen für Gerechtigkeit und Frieden müssen wir alle vom BtMG betroffenen Personen und sozialen Gruppen im Blick haben, ordentlich zuhören und die diversen Positionen im drogenpolitischen Geschehen verstehen lernen, um unsere Handlungen und Forderungen daraus abzuleiten. Aussagen, die davon ablenken, dass Drogentod großenteils vermieden werden kann, müssen als solche bloßgestellt werden. Cannabis als Medizin und seine relativ geringe Schädlichkeit im Vergleich zu Alkohol sind im biopolitischen Diskurs starke Argumente für die Cannabis-Legalisierung. Sie tangieren aber das Problem des vermeidbaren Drogentods nicht. Bei der Reflektion von politischem Handeln darf allerdings nicht übersehen werden, worum es eigentlich geht: Das variable, komplexe und weitreichend beliebte Wirkungsspektrum von Drogen, deren Gebrauch seit jeher und unabhängig von unserem prohibitionistischen, bio- und nekropolitischen Zeitalter das Menschsein prägt.

Cannabis als Medizin in Deutschland: Anspruch und Wirklichkeit

Dr. med. Franjo Grotenhermen *

*Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin e.V., International Association for Cannabinoid Medicines (IACM)

Der unerfüllte Anspruch des Gesetzes

In ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage von Bündnis 90/die Grünen vom 17.9.2020 zur Versorgung von Medikamenten auf Cannabisbasis schreibt die deutsche Bundesregierung: "Die Bundesregierung verfolgt das gesundheitspolitische Ziel einer qualitätsgerechten und bedarfsgerechten Versorgung von Patientinnen und Patienten in Deutschland mit Arzneimitteln auf Cannabisbasis"[36].

Tatsächlich hat das Cannabis als Medizin-Gesetz, das vom Deutschen Bundestag am 19. Januar 2017 einstimmig verabschiedet worden war, in der Theorie einen guten Rahmen für eine solche Versorgung geschaffen. Von einer bedarfsgerechten Versorgung ist Deutschland jedoch noch weit entfernt. In der Praxis müssen Patient*innen und ihre Ärzt*innen zu oft erfolglos für eine Therapie mit Cannabis-Medikamenten kämpfen. Die Zahl der Patient*innen, die Medikamente auf Cannabisbasis erhalten, steigt zwar weiterhin deutlich. Dies kann allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass gemessen am Bedarf die notwendige Versorgung der Bevölkerung bei Weitem nicht gewährleistet ist. Sie kann bei Anhalten der gegenwärtigen Verschreibungspraxis der Ärzt*innen, der Praxis der Kostenübernahme durch die Krankenkassen sowie der Auslegung des Gesetzes durch die Sozialgerichte auch ohne Nachbesserung des Gesetzes nicht erwartet werden.

Vergebliche Arztsuche und Kostenübernahme der Behandlungskosten

Zahlreiche Ärzt*innen sind grundsätzlich bereit, Medikamente auf Cannabisbasis sowie Cannabis zu verordnen, der Aufwand und die Angst vor Regressforderungen halten jedoch viele davon ab. Zu viele. Ein häufiges Problem von Patient*innen ist daher die vergebliche Suche nach einem Arzt, der eine Therapie auf Cannabisbasis unterstützt. Nicht alle Patienten sind in der Lage, die dafür häufig notwendige Kraft und Zeit aufzubringen.

Jede Behandlung mit Medikamenten auf Cannabisbasis, die auf eine Übernahme der Kosten durch die zuständige Krankenkasse abzielt, ist für den Behandler mit einem hohen Aufwand für den Antrag bei häufigen Ablehnungen und minimaler Vergütung verbunden. Wird der Antrag nicht im ersten Anlauf genehmigt, muss der Patient zusammen mit seinem Arzt ein langwieriges Verfahren für den Widerspruch durchlaufen und möglicherweise vor dem Sozialgericht, eventuell in mehreren Instanzen, auf eine Kostenübernahme klagen.

Weitere drängende Probleme

Für viele schwere Erkrankungen, bei denen cannabisbasierte Medikamente einen therapeutischen Nutzen haben und bei denen die Bundesopiumstelle zwischen 2007 und 2016 entsprechende Ausnahmeerlaubnisse nach § 3 Abs. 2 BtMG erteilt hatte, gibt es nur eine begrenzte klinische Datenbasis. Die Krankenkassen sind dazu übergegangen, bei diesen Patienten „eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Symptome“[37] zu negieren, obwohl die betroffenen Patienten nach ärztlicher Einschätzung eine positive Einwirkung auf ihre Erkrankung bzw. Symptomatik tatsächlich erleben. Eine solche „nicht ganz entfernt liegende Aussicht“ auf einen therapeutischen Effekt ist jedoch eine elementare Voraussetzung für eine Kostenübernahme durch die Krankenkasse.

Krankenkassen lehnen immer wieder eine Kostenübernahme ab, weil Erkrankungen nicht als „schwerwiegend“ eingestuft werden. Dies ist eine weitere Hürde für eine Kostenübernahme.

Krankenkassen lehnen nicht selten eine Kostenübernahme ab, weil noch nicht alle Therapieoptionen ausgeschöpft seien, ohne allerdings konkret zu benennen, welche Therapien noch durchgeführt werden sollten. Die behandelnden Ärzte wissen dann nicht, welche Therapien nach Auffassung der Krankenkasse noch durchgeführt werden sollen, bevor ein Behandlungsversuch mit einem Cannabis-basierten Medikament genehmigt werden kann. Dies ist die dritte Voraussetzung für eine Kostenübernahme.

Die Kosten für Cannabisblüten in der Apotheke sind in 2017 erheblich gestiegen, weil sie nach Inkrafttreten des Gesetzes nach § 4 oder § 5 Arzneimittelpreisverordnung als Rezepturarzneimittel abgegeben werden müssen. Dies ist mit einem Aufschlag von 100 % auf den Einkaufspreis verbunden, was zu Preisen von 20-25 € pro Gramm Cannabis in deutschen Apotheken führt. Dies belastet das ärztliche Budget, die Krankenkassen und insbesondere Patienten, die solche Medikamente weiterhin selbst finanzieren müssen.

Ärztinnen und Ärzte fürchten bei einer Verordnung hoher Dosierungen Cannabis-basierter Medikamente, dass dies Strafzahlungen an die Krankenkassen, so genannte Regresse, nach sich ziehen könnte, unter dem Vorwurf mangelnder Wirtschaftlichkeit – trotz Kostenübernahme der Behandlung. Es gibt bereits solche Regressforderungen. Auch wenn diese im niedrigen 2-stelligen Bereich liegen, dürften sie einen Abschreckungseffekt haben[38].

Für alle diese Probleme liegen Lösungsvorschläge seitens der ACM auf dem Tisch. Bisher gibt es keine Signale der Bundesregierung, eine adäquate Nachbesserung des Gesetzes vornehmen zu wollen, damit Patienten aus der Illegalität herauskommen können, die bisher nicht legal versorgt werden.

Keine Chance auf eine Therapie bei den meisten Erkrankungen

Mehr als 70 % der Kostenübernahmen, die sich in einer Zwischenauswertung der Begleiterhebung durch die Bundesopiumstelle niederschlagen, entfallen auf Schmerzerkrankungen – Patienten mit vielen anderen Indikationen sind unterrepräsentiert. Ein Teil der Verschreibungen von Cannabis-Medikamenten entfällt auf solche, bei denen die gesetzlichen Krankenkassen die Kosten der Behandlung übernommen haben. Diese werden durch eine fünfjährige Begleiterhebung durch die Bundesopiumstelle erfasst. Nicht erfasst werden Verschreibungen auf Privatrezepten, die entweder bei privaten Krankenversicherern eingereicht oder von den Patienten selbst bezahlt werden. Nach Angaben der Bundesregierung lagen bis zum 6. März 2020 8872 vollständige Datensätze in der Begleiterhebung vor[39].

Andere Erkrankungen (Tourette-Syndrom, Restless Legs Syndrom, Schlafstörung) machen weniger als ein Prozent der Erkrankungen aus. Andere bewährte Indikationen tauchen überhaupt nicht auf. Es ergibt sich ein deutlicher Unterschied zur Verteilung der Erkrankungen, für die die Bundesopiumstelle in den Jahren 2007-2016 Ausnahmeerlaubnissen zur Verwendung von Medizinalcannabisblüten aus der Apotheke nach § 3 Abs. 2 Betäubungsmittelgesetz erteilt hat. Dort bildeten psychiatrische Erkrankungen, wie ADHS, Depressionen und posttraumatische Belastungsstörung, sowie chronisch-entzündliche Erkrankungen wie Colitis ulcerosa und Morbus Bechterew einen deutlich größeren Anteil der Patienten, die nach Auffassung der Bundesopiumstelle eine Therapie mit Cannabis benötigten.

Besonders deutlich wird dies bei psychischen Problemen und speziell bei der Diagnose ADHS. Diese Patienten sind bei den Kostenübernahmen unterrepräsentiert, dafür machen sie einen überdurchschnittlichen Anteil bei Informationsangeboten wie dem ACM-Patiententelefon aus. Psychische Erkrankungen hatten bei den Patienten mit Ausnahmeerlaubnisse einen Anteil von 23 %. Bei den Kostenübernahmen sank der Anteil auf 5%. Bei ADHS sank der Anteil von 14 % im Rahmen der Ausnahmeerlaubnisse auf nur 2 %.

Diskrepanz zwischen Versorgung und Bedarf

Eine genaue Abschätzung der Zahl der Patienten in Deutschland, die cannabisbasierte Medikamente legal erhalten, ist aufgrund fehlender Daten über die Ausstellung von Privatrezepten bzw. Privatpatienten mit einer Kostenzusage nicht möglich. Es ist davon auszugehen, dass die meisten Patienten die keine Kostenübernahme erhalten, ihren Bedarf über Privatrezepte aus wirtschaftlichen Gründen nur teilweise decken können.

Bei einer großzügigen Annahme der Zahl von Privatpatienten  erhielten etwa 20-30.000 Patienten in Deutschland Medikamente auf Cannabisbasis. Dies entspricht bei einer Einwohnerzahl von 83,2 Millionen einem Anteil von 0,025-0,036 %. Aus anderen Ländern, wie Israel, Kanada und einigen Staaten der USA ist bekannt, dass der reale Bedarf für eine ausreichende gesundheitliche Versorgung mit Cannabis-Medikamenten bei etwa 1 bis 2 % der Bevölkerung und damit mindestens bei 830.000, eher aber bei mehr als einer Million Patienten liegt.

Es kann sicher davon ausgegangen werden, dass deutlich weniger als 10 % der Patienten – dies wären 83.000 Patienten –, die einer solchen Therapie bedürfen, diese auch erhalten.

Ampel auf Grün: Kehrtwende bei Cannabis zur Schadensminimierung der Folgen durch COVID-19

Maximilian Plenert*

* Kompetenzzentrum Cannabis GmbH.

Lisa Haag*

* MJ Universe GmbH.

Corona: die Welt steht Kopf

Das Ausmaß der Verwerfungen durch die weltweite COVID-19-Pandemie ist noch nicht abzusehen. Menschen und Nationen isolieren sich oder gehen auf Distanz, im offenen Europa werden wieder Grenzen geschlossen, und uns machen die Folgen der Globalisierung zu schaffen. Internationale Warenflüsse sind unterbrochen, verzögert oder stehen komplett still. Wertschöpfungsketten, ganze Industriezweige und damit gar Volkswirtschaften sind plötzlich mit geschlossenen Grenzen konfrontiert, einer jähen Umkehr der scheinbar unaufhaltsamen Globalisierung. Diese Wirtschaften werden sich neu erfinden müssen, neue Modelle suchen oder werden verschwinden. Andere Bereiche boomen und besonders digitale Produkte sind gefragter und wichtiger denn je. Denn, wie sich Menschen treffen, kommunizieren und zusammenarbeiten, hat sich grundsätzlich geändert.

Wir haben uns Abhängigkeiten geschaffen, die uns nun einholen: günstige Produktionen im Ausland, globale Warenströme, Nutzung von externen Ressourcen und von alten überholten Systemen im Tourismus, im Einzelhandel oder in der Arbeitswelt. Corona hat uns die Verwundbarkeit unserer Wirtschaftsweise aufgezeigt. Die Unfähigkeit Europas selbst kurzfristig und ausreichend Atemschutzmasken herzustellen[40], während die Corona-Pandemie in China bereits zum Lockdown und zu einem Stopp der Exporte von Masken geführt hatte, ist allen bewusst. Weniger bekannt ist beispielsweise, dass es in Europa überhaupt nur noch eine Produktionsstätte für Antibiotika gibt[41]. Auch für andere Medikamente befinden wir uns in einer totalen Abhängigkeit von China, Indien und deren Rohstoffquellen. Die Leistungsfähigkeit unseres Gesundheitssystems hängt in fataler Weise von Cent-Artikeln ab, ohne dass wir dafür selber Produktionsmöglichkeiten hätten.

In Sachen digitaler Souveränität Europas sieht es kaum besser aus[42]. Daneben verblassen regionalen Produkte im Einzelhandel, der immer mehr auf den Wunsch seiner Kunden nach regionalen Wertschöpfungsketten reagiert.

Drogenkonsum und die globalen Warenflüsse rund um Drogen haben sich durch COVID-19 geändert, aber nicht wesentlich gemindert. Laut EMCDDA geht man davon aus, dass Beschlagnahmungen und nachrichtendienstliche Daten … nicht darauf hindeuteten, dass unmittelbare größere Unterbrechung der wesentlichen Aktivitäten des Drogenhandels vorliegen“[43]. Nach einem kurzen Stocken durch die plötzliche Schließung von Grenzen und der Unterbrechung der Warenströme, mit denen Drogen mittransportiert werden, könnte dieser Markt schnell neue Wege finden - sie sind es gewohnt sich stets zu wandeln. Laut EMCDDA hat sich unter den rund 25 Millionen (EMCDDA 2019) Nutzern von Cannabis der “Konsum bei gelegentlichen Nutzern während Corona reduziert” während sich der “Konsum bei regelmäßigen Nutzern erhöhte”[44].

Besonders Cannabis ist dabei die Substanz in der die größte Chance steckt, eine  Kehrtwende zu machen - zur Schadensminimierung der Folgen durch COVID-19 auf regionaler Ebene, für den Schutz und Erhalt unsere Gesundheit und langfristig als Chance zur Schaffung von legalen Cannabis Märkten mit einer internationalen Verantwortung und entsprechenden Regulierungsmechanismen. Besonders die globale Abhängigkeit vom Schwarzmarkt könnten wir im Rahmen der Neuausrichtung unserer Welt in der Vergangenheit lassen.

Regional - statt internationale Abhängigkeit

Nach Corona ist vor dem Wiederaufbau - unserer Wirtschaft, der Arbeitsplätze, der lokalen und internationalen Waren- und Menschenflüsse. Schon lange vor Corona sah man ein Umdenken hin zu regionalen Wertschöpfungsketten, zu Konsum und zur Verantwortung des Einzelnen. So hat z. B. der Hersteller Rügenwalder seine Soja-Produktion nach Europa umgestellt, denn EU-Bio-Soja ist gut für den Regenwald und schafft regionale Wertschöpfungsketten[45]. Corona hat uns alle entschleunigt, sodass wir vielleicht auch mehr Zeit haben uns diesen Themen zu widmen. Gleichzeitig hat es beschleunigt, denn noch nie zuvor war so deutlich, dass wir ein Neudenken brauchen und Entscheidungen neu bewerten. Die Nachfrage nach regionalen Produkten in Deutschland ist gestiegen, die Leute kaufen mehr Dinge online[46].

Eines solcher regionalen Produkte ist Cannabis, aktuell in der EU und speziell in Deutschland durch das Betäubungsmittelgesetz zulässig, nur als sogenannter “Nutzhanf” mit einem Gehalt von unter 0,2 Prozent. Die zugelassenen Sorten aus dem Nutzhanfkatalog[47] lassen sich als Rohstoff nutzen, was eine erhebliche Einschränkung der Verwendungsmöglichkeiten darstellt. Im Vergleich gilt in der Schweiz ein THC-Grenzwert von 1%[48], was den Hanf ohne Probleme deutlich nützlicher macht - ohne dass schwerwiegende Nebenwirkungen bekannt wären.

Die Produkte sind gefragt: Hanfproteine als Alternative zu pflanzlichem Eiweiß, Hanfsamenöl als tägliches Plus für die Gesundheit und Pflege. Viele nutzen die CBD-haltige Hanfextrakte gegen den Stress durch die Isolation und die kleinen Problemchen des Alltags. Auch hier haben die Eidgenossen einen ökonomischen Vorteil dadurch, dass der Hanf gezüchtet werden kann und der durch den natürlich höheren THC-Gehalt auch einen höheren CBD-Anteil erreicht und hierdurch ertragreichere Biomasse ist. Hanf ist ein Teil der legalen Cannabiswirtschaft, dessen Potenzial wir entfesseln sollten. Die Bundesregierung und die Unternehmen sind dabei gefragt, um die für Verbraucher sichere, lokale und nachhaltige Produkte zu produzieren und hierdurch Arbeitsplätze und Wachstumspotenziale für den Wirtschaftsstandort Deutschland zu schaffen. Eine Lockerung des THC-Grenzwertes nach dem Schweizer Modell wäre hier ein erster konkreter Schritt.

Gesetze zum Schutz der Bevölkerung

Die deutsche Corona-Politik hat es gezeigt: Eine saubere Abwägung des Gesundheitsschutzes und Einschränkungen von Wirtschaft und öffentlichem Leben ist möglich. Unter dem Druck der Öffentlichkeit rangen Politiker um Lösungen, beraten von Spitzenwissenschaftlern und mit der Notwendigkeit, die Maßnahmen vernünftig begründen zu können. Mit Gehalt wurden individuellen Gesundheit und Freiheit, und die Folgen und Schäden von Handlungen für Andere und die Allgemeinheit, abgewogen, und dies trotz des Fehlens solider Erkenntnisse und Erfahrungen über das neue Virus. Welche Folgen ein unsachgemäßer Umgang mit Corona hat, können wir in Ländern wie den USA, UK oder Brasilien sehen.

Genau solche ausgewogenen und fundierten Abwägungen fehlen in der Diskussion über Cannabis - obwohl hier die Datenlage über die Wirkung von bestimmten Handlungen und Instrumenten sehr gut bekannt und erforscht sind. Die Prohibition ist nicht nur gescheitert und schädlich, sondern auch teuer. Angesichts der Herausforderungen durch COVID-19 ist es mehr denn je ein Irrsinn, erhebliche Ressourcen für die Prohibition zu verschwenden, anstatt sie in wirksame Gesundheits- und Sozial-Maßnahmen zu investieren.

Wir haben alt-bekannte Schäden durch die Prohibition wie z. B. die Strafverfolgung von Endverbrauchern und Homegrowern, Umweltschäden durch illegale Produktionsstätten, aber auch altbekannte Verunreinigungen. Auch viele CBD-Grows sind nur bedingt reguliert und Qualitätskontrollen fehlen. Der Nutzhanfblüten-Boom hat auch dazu geführt, dass ein Teil dieser Blüten dann im Schwarzmarkt landet, gestreckt mit synthetischen Cannabinoiden wie JWH-18, AM-1220, UR-144 und weiteren abgewandelten Substanzen, die nicht mal annähernd mehr etwas mit Cannabis zu tun haben und ein großes Risiko durch Nebenwirkungen bis hin zum Tod bergen.

Der Deutsche Hanfverband hat das mit Proben aus unserem Reallabor Deutschland bestätigt[49] und in der Schweiz ist das Thema inzwischen an die Oberfläche durchgebrochen und in den öffentlichen Schweizer Medien[50]. Für Verbraucher sind diese Streckmittel schlecht bis gar nicht zu erkennen. Der Gesundheitsschutz ist nicht mehr gewährleistet, auch nicht der Schutz der Bevölkerung. Drogenabstinenz ist unrealistisch und nicht zeitgemäß. Regulierung ist die einzige Alternative zum Schwarzmarkt und um solchen Dingen effektiv entgegenzuwirken.

Der Faktor Rauchen und pulmonale Erkrankungen ist durch COVID-19 in einen neuen Kontext geraten - geht es doch alles auf die Lunge. Nicht nur Streckmittel können ein großes Problem werden, sondern auch die Art und Weise wie das Cannabis konsumiert wird. Im internationalen Ausland sieht man inzwischen eine ganze Bandbreite an Produkten z. B. Edibles, Tinkturen, Pflaster, Salben, Zäpfchen und Öle, mit denen das Cannabis auf eine andere Art und Weise konsumiert wird. Alles mit Qualitätskontrollen, Gebrauchsanweisung und Dosierempfehlung und umfassender Beratung durch die Hersteller im Rahmen ihrer Möglichkeiten.

CBD - Cannabis, but drug?

Für CBD-Produkte sehen wir hier eine ähnliche Entwicklung im Gebrauch und in den verfügbaren Produkten. CBD kann beispielsweise auch zur Rauchentwöhnung eingesetzt werden[51]. Die Sicherheit der Produkte für den Endverbraucher ist in dieser Hinsicht das wichtigste Kriterium. Viele Konsumenten setzen die Produkte für den Erhalt oder die Stärkung ihrer Gesundheit ein. Cannabis kann auch bei Abwesenheit von Krankheit wirksam für die Gesundheit sein, um vollständiges körperliches, geistiges und soziales Wohlbefinden zu unterstützen - auch mit THC. Die Welt ist hektisch, man wünscht sich mehr Zeit, ist angespannt durch die Gesamtsituation. Cannabis, richtig angewendet, kann in diesen Zeiten dabei helfen mal in Ruhe runterzukommen und sich Zeit für sich selbst zu nehmen. Eine Reise nach innen in Zeiten in denen Reisen nicht möglich ist.

Die CBD Wirtschaft verdient dank traumhafte Margen weiterhin fleißig, versagt aber kläglich darin Qualität und Standards selbst zu etablieren. Das Regelwerk ist ein Flickenteppich unterschiedlicher nationaler, europäischer und internationaler Gesetze und Verträge, zuständig für die konkrete Umsetzung wie Überwachung sind u. a. einzelnen Gesundheitsbehörden der Bundesländer sowie den regionalen Untergliederungen. Entsprechend uneinheitlich ist die reale Rechtslage in Abhängigkeit vom Standort in Deutschland. Gerade die dringend gebotene Regulierung von CBD bietet die Möglichkeit eine seriöse Cannabispolitik zu üben. Während aktuell nicht nur zahlreiche Akteure CBD bewerten, auch die Liste der Kriterien ist lang. Für den Bürokraten ist es mitunter entscheidend, ob zwei chemisch physikalisch völlig identische CBD-Moleküle aus der Pflanze oder aus dem Bioreaktor gewonnen werden. Das zu schützende abstrakte Rechtsgut bei vielen Regelungen ist der Gesundheits- und Verbraucherschutz, leider spielen diese in der Praxis bei CBD keine Rolle.

Dabei wäre eine vernünftige CBD-Regulierung schnell skizziert. Eine Gesundheitsgefahr von CBD unterhalb von hohen, klar medizinischen Dosierungen, geht primär von seiner Fähigkeit aus mit anderen Medikamenten oder psychotropen Substanzen zu wechselwirken[52] und diese verstärken oder abschwächen können. Für einen gesunden, abstinenten Menschen geht deswegen von CBD kaum ein Risiko aus[53], aber für jeden Patienten, der auf Medikamente angewiesen ist, kann CBD ab einer bestimmten Wirkdosis ein erhebliches Risiko darstellen. Ziel der Regulierung muss es deswegen sein, Produkte klar zu unterscheiden in a) solche bei denen das Erreichen dieser Wirkdosis praktisch ausgeschlossen ist (keine Regulierung für CBD notwendig, es gelten weiterhin die Regeln für das Produkt, das das CBD enthält) und b) solche bei denen die Dosis sicher überschritten wird (Apothekenpflicht). Im Bereich dazwischen ist der CBD-Fachhandel anzusiedeln. Zu Beginn sollte der Grenzwert einer geringen, also sehr sicher Dosis entsprechen. Es ist dann die Herausforderung der Cannabiswirtschaft sichere Standards für einen sachgemäßen Umgang etablieren. In dem Maße, in dem dies gelingt, könnte von Behördenseite aus der maximale erlaubte Wert angehoben werden. Dieser Wert wandert damit je nach Bemühen der CBD-Wirtschaft von der Größenordnung “Lebensmittel” in Richtung “Apothekenpflichtig”, das in deren Interesse liegen sollte. Außerdem sichert man so einen weiteren Teil der milliardenschweren Industrie mit vielen Arbeitsplätzen.

Cannabis als Medizin und COVID-19

Zum Einsatz von Cannabis gegen COVID-19 selbst gab es einige Hypothesen und Spekulationen, noch weniger Studien, dazu reißerische Überschriften und dafür Jubel Kiffen ist doch gesund“ Jubel von den üblichen unbelehrbaren “Hanffreunden”. Der Gebrauch von Cannabis - gar geraucht mit Tabak - bietet keinen Schutz vor einer Infektion, dieser Warnruf von Dr. Grotenhermen durch die Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin war eine leider notwendige Reaktion[54].

Die Faktenlage ist weiterhin sehr überschaubar. Cannabis und einzelne Cannabinoide werden gegen Überreaktionen des Körpers eingesetzt, wie sie bei Autoimmunerkrankungen vorkommen. Dazu kommen bekannte antibakterielle und antivirale Wirkungen, die nutzbar sein könnten. Immunsuppressive Effekte könnten beim sogenannten Zytokin-Sturm, eine der tödlichen Reaktionen eine Erkrankung durch COVID-19 auslösen kann. Untersuchungen an Zell haben bestätigen, dass die eingesetzten CBD-reichen Extrakte die Zahl der ACE-2-Rezeptoren reduzieren können[55]. Diese spielen bei der Ansteckung mit dem Virus eine entscheidende Rolle. Leider wurde bei der Untersuchung keine weiteren Inhaltsstoffe außer THC und CBD untersucht, die nicht alleine verantwortlich für die Wirkung zu sein scheinen.

Deutlich relevanter könnten die Möglichkeiten von Cannabis als Medizin in Zeiten von Corona sein. Der Anbau von Cannabis und die Herstellung von cannabis-basierten Arzneimitteln ist an vielen Orten der Welt gut und günstig möglich. Eine regionale Versorgung ist krisensicherer und könnte als Alternative für zahlreiche - insbesondere schwer verfügbar und teure - Medikamente dienen.

Cannabis: eine Pflanze - eine globale Industrie

Auch im Thema Cannabis als Medizin gibt es hierzulande Produzenten, die Cannabis für den Deutschen Markt produzieren - aber exklusiv für Deutschland und nicht für den Export. Obwohl solche Produkte im Ausland bestimmt gefragt wären, eben weil ‘Made in Germany’. Der Anbau wird sich jedoch auch durch COVID-19 und weitere Faktoren verzögern[56]. Auch die Abnahmen von internationalen Anlagen durch deutsche Behörden sind aktuell durch die eingeschränkte Situation verzögert. Aktuell hängt es von Importen aus dem internationalen Ausland ab. Es wird immer eine Mischung bleiben aus Importen und eigener Herstellung.  

Medizinisches Cannabis als Ausgangspunkt

Das wäre auch dann sinnvoll, wenn wir es schaffen sollten, einen legalen Markt für Cannabis für Erwachsene in Deutschland zu schaffen. Die Deutsche Cannabisagentur lebt und auch der Großhandel sieht mehr und mehr Wettbewerb. Man muss langfristig neue Geschäftsbereiche erschließen und Großhändler stellen bereits einen sicheren und geprüften Warenfluss. Die gerade entstehende Cannabiswirtschaft hat die Möglichkeit einer ‘gesunden’ Internationalisierung. Lokale Unternehmen und regionale Hersteller könnten nach festen Qualitätsvorgaben, ähnlich wie bei Alkoholika und Lebensmitteln, regionale, geprüfte, sichere Produkte zur Verfügung stellen. Dies wird ergänzt durch qualitativ hochwertige und bewährte Produkte aus dem internationalen Ausland. In welchem System man diese vertreibt, sei einmal dahingestellt und es sind viele Varianten vorstellbar –  über die Apotheke, Fachgeschäft, als markt- und staatsferne Modelle wie dem Cannabis Social Club oder Genossenschaft.

Verändern wir den Status von Cannabis als Betäubungsmittel, könnte dies weitreichende Auswirkungen und Folgen haben. So oder so wird Cannabis in Deutschland angebaut, wir haben es in der Hand, ob wir diese Antriebskraft von Cannabis nun den weißen legalen Märkten verfügbar machen oder ob wir ihn weiterhin dem Schwarzmarkt mit all seinen bekannten Nebenerscheinungen überlassen. Der Schwarzmarkt besteht, jetzt vermehrt in den sozialen Medien und niederschwellig verfügbar für Groß und Klein. Dealer digital und Drogenhandel 3.0. Bereits 2018 hatte Ökonom Justus Haucap die Potenziale für Einnahmen durch eine Regulierung des Bereichs auf rund 2,7 Milliarden an zusätzlichen Steuereinnahmen und Einsparungen für den Fiskus errechnet[57]. Hierin enthalten sind auch Einnahmen für die vielen tausenden Arbeitsplätze, die entstehen könnten.

Cannabis: Ampeln auf Grün

In vielen Ländern und U.S. Bundesstaaten ist Cannabis durch COVID-19 inzwischen ein ‘essential good’. Überall sind die Folgen von COVID-19 zu spüren, nicht nur bei uns. Internationale Drogenverträge, die man ändern und gestalten kann, stehen uns als Rahmen zur Verfügung und unter ihrem Schirm könnten wir die globale Cannabiswirtschaft ermöglichen. So, dass weltweit sicher und transparent Cannabis hergestellt und an Endverbraucher abgegeben werden kann. Cannabis hat das Potenzial anstatt kleine regionale Märkte zu einem global regulierten, sicheren und fairen Weltmarkt zu werden, ähnlich der Fair-Trade-Schokolade. Die Alternative haben wir lange genug probiert und wir haben genug Erfahrungen aus Reallaboren, dass es funktionieren kann. Welche Weichen wird Deutschland zu Cannabis nach COVID-19 neu stellen? Es ist Zeit für eine Kehrtwende bei Cannabis: schalten wir die Ampeln auf Grün.


Anhang

I. Rohdaten der Umfrage

II.  Interaktive Datenvisualisierung

 

REFERENZEN

Luxembourg


Kontakt zu Autoren –  

Martin Ignacio Díaz Velásquez*

* European   Institute   for   Multidisciplinary   Studies   on   Human   Rights   &   Sciences   -   Knowmad   Institut. https://orcid.org/0000-0001-5162-4786 | E-mail: [email protected] 

Daniela Kreher*

* European   Institute   for   Multidisciplinary   Studies   on   Human   Rights   &   Sciences   -   Knowmad   Institut. Law Enforcement Against Prohibition Deutschland

https://orcid.org/0009-0000-7194-2845 | E-mail: [email protected]


WAIVER

ACKNOWLEDGEMENT

With thanks to all the individuals who provided feedback on this paper.

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[1](UNODC, 2019)

[2] (Sweers et al., 2019b)

[3](Stoffregen, 2019)

[4] (Rome Consensus 2.0, 2020)

[5] (UNODC, 2020)

[6] (UNODC, n.d.)

[7](WHO, 2014)

[8](WHO, 2016)

[9](UNODC, 2018)

[10](Pompidou-Gruppe, 2021)

[11] (Bundesgesetzblatt, 2017)

[12] (Bundesministerium für Gesundheit, 2021)

[13] (Drogenbeauftragte, 2020)

[14] (Meisner, 2020)

[15] (Drogenkurier, 2019)

[16] (Ludwig, 2020a)

[17](Scharwey, 2020; Meisner, 2020; Drogenkurier, 2019, S. 9ff.)

[18](Hughes & Stevens, 2010, S. 1017)

[19](Jesse, 2017, S. 36)

[20](Bundeskriminalamt, 2019)

[21] (Scharwey, 2020)

[22] (Mbembe, 2003, S. 11f.)

[23](Pieper et al., 2011, S. 7)

[24](Mbembe, 2003, 11f.)

[25] (Gržinić, 2018, Min. 3:40)

[26] (Gržinić, 2018, Min. 8:00)

[27] (Quinan & Thiele, 2020, S. 3; Übersetz. d. Verf.)

[28] (Quinan & Thiele, 2020, S. 3; Gržinić, 2018, Min. 27:00, 30:00)

[29] (Gržinić, 2018, Min. 5:20; Min. 18:40)

[30] (Nika, 2020)

[31] (FR, 2020)

[32] (Nutt et al., 2010)

[33] (Krauß, 2019)

[34] (Plenert, 2012)

[35] (Ludwig, 2020b, S. 2)

[36] (Deutscher Bundestag, 2020)

[37] (§ 31 Abs. 6 SGB V)

[38] (Deutscher Bundestag 2020)

[39] (Deutscher Bundestag 2020)

[40](tagesschau.de & Steinlein, 2020)

[41](Strobl, 2020)

[42](Bernard, 2020)

[43](European Monitoring Centre for Drugs and Drug Addiction, 2020)

[44](European Monitoring Centre for Drugs and Drug Addiction, 2020b)

[45] (Rügenwalder, n.d.)

[46](Statista, 2020)

[47](BLE, n.d.)

[48](Bundesamt für Gesundheit BAG, n.d.)

[49](Waterkotte, 2020)

[50](Vögtli & Sterchi, 2020)

[51](Hindocha et al., 2018)

[52](Brown & Winterstein, 2019)

[53](Iffland & Grotenhermen, 2017)

[54](Grotenhermen, 2020)

[55] (Wang et al., 2020)

[56](Avoxa-Mediengruppe Deutscher Apotheker GmbH, 2020)

[57](Deutscher Hanfverband, 2018)